Sikkim - Land der Naturschönheiten und Vielfalt (zweiter Teil)
Am nächsten Morgen frühstückten wir sehr spät und ausgiebig, wie es in der Bergregion aufgrund des kalten Wetters üblich ist. Die Tochter der Familie erzählte uns, dass die Einheimischen normalerweise gegen 10 oder 11 Uhr frühstücken und bis zum Abendessen gegen 20 oder 21 Uhr außer einem kleinen Snack nichts mehr essen. Sie studierte in Darjeeling und besuchte ihre Eltern nach langer Zeit. Man konnte ihr ansehen, wie glücklich sie war, bei ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder zu Hause zu sein...
Alltag in den Bergen
In den folgenden Tagen, die wir bei der Familie verbrachten, erfuhren wir viel über das tägliche Leben in dieser Region. Zufällig waren während unseres Besuchs Ferien und der Bruder von Herrn Gurung kam mit seiner Familie aus Gangtok zu Besuch. Die ganze Familie empfing uns in ihrem Zuhause und gab uns durch ihre Herzlichkeit und Freundlichkeit das Gefühl, ein Teil ihrer Familie zu sein.
Während unserer Zeit dort wurde mir bewusst, wie hart das Leben in der Bergregion für die einheimische Bevölkerung ist. Aber alle Menschen, die wir trafen, schienen den Herausforderungen recht positiv und gelassen zu begegnen. Besonders während der Pandemie, als der Tourismus, der die Haupteinnahmequelle der Region darstellt, völlig zum Erliegen kam.
Die ältere Tochter des Bruders von Herrn Gurung, die als Ärztin in Gangtok arbeitete, erklärte jedoch, dass die Depressions- und Selbstmordrate in Sikkim ungewöhnlich hoch sei. Außerdem mangelt es in den Dörfern an medizinischer Versorgung. In Notfällen müssen die Menschen meist recht weit in die nächstgrößere Stadt fahren, um medizinische Hilfe zu erhalten.
Andererseits werden die Menschen selten krank, wie mehrere Personen, die wir trafen, bestätigten. Wenn jemand krank wird, geht er oder sie zu den Heilern in den Dörfern. Nur wenn der Heiler nicht helfen kann, besuchen die Menschen einen Arzt in einer der größeren Städte.
Teilnahme an einem Fest
Während unseres Aufenthalts in Darap erzählte uns Herr Gurung von einem großen lokalen Fest. Die heiligen buddhistischen Bücher, die die Lehren Buddhas enthalten, werden in einer großen Prozession vom nahe gelegenen, berühmten Kloster Pemayangtse in mehrere Dörfer der Region gebracht. Dieses Mal wurden die Bücher zuerst in Darap empfangen. Nachdem sie dort über Nacht geblieben waren, wurden sie in ein anderes Dorf weitergetragen.
Dank Herrn Gurung und seinem Bruder durften wir das Kloster von innen sehen und an der dreistündigen Prozession teilnehmen. Es war eine Ehre und eine wunderbare Erfahrung, die Rituale aus nächster Nähe zu erleben. Als wir am Ende der Prozession in Darap ankamen, wurden wir in das Haus der Familie eingeladen, die in diesem Jahr die Bücher für Darap beherbergte.
Für alle Gäste wurde ein großes Zelt errichtet, in dem das Mittagessen stattfand. Es war auch die Aufgabe der Familie, die Mönche zu beherbergen, die die Bücher aus dem Kloster begleiteten. Als wir das Haus erreichten, wurden wir in einen der Räume im hinteren Teil des Gebäudes geführt, in dem etwa zwanzig Personen Platz genommen hatten. Eine der anwesenden Frauen reichte uns verschiedene Snacks auf zwei Tellern und man bot uns indischen Milchtee an.
Einladung zu den Feierlichkeiten
Als ich unter den Einheimischen saß und die Interaktionen um mich herum beobachtete, sah ich, dass Frauen und Männer getrennt sitzen, was mich überraschte. Ich hatte immer gedacht, dass die Geschlechtertrennung in der Himalaya-Region und in den nordöstlichen Teilen Indiens nicht so ausgeprägt ist. Nach einiger Zeit verließen fast alle Frauen gemeinsam den Raum.
Plötzlich standen alle auf, nur wir nicht, da wir nicht wussten, was passiert war. Ein Mann betrat den Raum und später erfuhren wir, dass es sich um einen Lokalpolitiker handelte. Was mich am meisten erstaunte, war, dass die Menschen uns einfach unter sich aufnahmen, ohne Fragen zu stellen. Der Mann neben mir begann ein Gespräch mit uns.
Als er hörte, dass ich aus Deutschland komme, erzählte er, dass eine Frau aus seinem Dorf mit einem Deutschen verheiratet ist und seit vielen Jahren in München lebt. Ich frage mich, wie klein die Welt ist, wenn ich tausende von Kilometern von Deutschland entfernt in einem kleinen Dorf im Himalaya sitze und von dieser unerwarteten Verbindung höre.
Besuch von zwei entlegenen Dörfern
An einem der folgenden Tage besuchten wir zwei abgelegene Dörfer in der Nähe von Darap. Beide Dörfer waren schwer zu erreichen und die kurvenreiche Straße, die zu ihnen führte, war manchmal kaum befahrbar, so dass das Auto mehrmals ins Rutschen kam. Aber in beiden Fällen bewahrheitete sich das Sprichwort, dass die am schwierigsten zu erreichenden Orte die schönsten sind. Vor allem das zweite Dorf, das direkt an einem reißenden Fluss lag, und nur über eine Fußgängerbrücke zu erreichen war, war von einer unbeschreiblich schönen Natur umgeben.
Um das Dorf zu erreichen, musste man die Brücke überqueren und einen Hügel hinaufsteigen. Die erste Person, die wir sahen, war eine ältere Dame, die eines der schönen traditionellen Kleider trug. Sie saß auf der Wiese vor ihrem Haus, umgeben von ihren drei kleinen Enkelkindern. Die drei Kinder schauten uns mit großen Augen aus der Ferne an und nach einiger Zeit lächelte uns das mutigste Kind, ein kleines Mädchen, an, während ihre Brüder sich noch hinter ihrer Großmutter versteckten.
Eine Vielfalt von Einflüssen
Der Großvater gesellte sich zu uns und unterhielt sich mit unserem Reiseführer Kalzang und dem Fahrer, der uns in das Dorf gebracht hatte, in der Landessprache. Ich war immer wieder von Neuem erstaunt, wie vielfältig die Bergregion in Bezug auf Ethnien, Sprachen, Bräuche, Religion und Ursprünge ist. Da Sikkim von Nepal, Tibet, Bhutan und Westbengalen umgeben ist, gab es im Laufe der Jahrhunderte eine immense Vielfalt von Einflüssen. Dies hat der Region ihr eigenes, sehr spezifisches kulturelles und historisches Gepräge verliehen.
Das Dorf war größer als der davor liegende Ort und hatte sogar eine Schule, die etwas höher lag als das Haus der Familie. Leider wird die Schule aus Geldmangel und wegen mangelnder Schülerzahlen bald geschlossen werden. Dann müssen die Kinder des Dorfes weiter fahren, um zur Schule zu gehen.
Wir saßen dort eine Zeit lang und hörten nur dem Wind, den Vögeln und dem Rauschen des Flusses zu. Als wir wieder den Hügel hinunterstiegen, zeigte Kalzang plötzlich auf eine bestimmte Pflanze, die auf den Feldern am Wegrand wuchs. "Das sind Marihuana-Pflanzen", sagte er. Als er meinen völlig entgeisterten Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: "Das ist für die Kühe. Wenn sie Bauchschmerzen haben, füttern die Menschen sie mit Marihuana."
Sikkim als unerforschte Region
Wie an vielen anderen Orten haben die Menschen in den beiden Dörfern ihre eigenes Homestay eröffnet. Sie waren aber noch nicht in der Lage viele Gäste zu empfangen, abgesehen von den Wanderern, die diese Region durchqueren. Ein Grund dafür ist, dass kommerzielle Werbung für Homestays in dieser Region nicht üblich ist. Der andere Grund ist, dass Sikkim noch größtenteils unerforscht und insgesamt vom Tourismus unberührt ist.
Die meisten Touristen kommen aus anderen Teilen Indiens nach Sikkim. Aber auch innerhalb Indiens ist es nicht das Hauptreiseziel. Wie uns Herr Gurung erklärte, reisen internationale Touristen nur sehr selten nach Sikkim. Wenn überhaupt, dann kommen sie zum Wandern in der atemberaubenden Natur.
Als wir unsere Reise nach einigen Tagen fortsetzten, verließ ich Sikkim schweren Herzens und mit dem Gefühl, dass es dort noch so viel mehr zu sehen und so viele weitere Orte zu besuchen gibt. Die Einfachheit des Lebens in dieser Region, die schönen, freundlichen Gesichter der Menschen, die wir getroffen hatten, und die atemberaubende Schönheit der Natur hinterließen einen tiefen Eindruck bei mir, und ich weiß sicher, dass ich wiederkommen werde.